Es lebte einmal und zu einer gewissen Zeit ein König, der hatte einen sehr schönen Sohn. Dieser ging eines Tags auf die Jagd, und als er so durch Wälder und über Berge schweifte, gelangte er an einen Garten und war eben in Begriff hineinzugehen, doch da besann er sich plötzlich anders, denn er gewahrte viele wilde Tiere, welche unter einem Zitronenbaume lagen und brüllten. Der Zitronenbaum stand in der Mitte des Gartens, und an ihm hingen drei goldne Früchte, während seine Blätter verwelkt waren. Betrübt darüber, dass er die Zitronen nicht bekommen konnte, kehrte der Jüngling wieder um. Auf dem Heimweg begegnete er einem Mönche, welcher seine Traurigkeit bemerkte und zu ihm sagte:
'Was weinst du denn und härmest dich,
Mein liebes, gutes Söhnlein?
Bist wohl bergauf bergab gestreift
Und nun erschöpft vom Hunger?'
'Nein,' antwortete der Königssohn,
'Doch einen Garten sah ich, der
In goldnen Früchten prangte,
Und hält die Wacht ein grimm'ger Leu,
Dass mir im Herzen bangte.'
'Fürchte dich nur nicht,' versetzte darauf der Mönch, 'ich bin der Gärtner
dieses Gartens, und wenn du die goldnen Zitronen abzuschneiden wünschest, so
will ich dir sagen, wie du das anfangen musst. Höre mich an! Nimm recht viel
Fleisch mit dir und wirf es dem Löwen und den übrigen wilden Tieren vor, da
werden sie dich die Zitronen nehmen lassen.' Der Jüngling küsste hierauf dem
Mönche dankend die Hand und kehrte heim. Am andern Morgen aber stand er
frühzeitig auf, versah sich mit Fleisch, wanderte wieder nach dem Garten,
fütterte die wilden Tiere, schnitt, ohne von ihnen belästigt zu werden, die drei
goldnen Zitronen ab, steckte sie in seine Tasche und trat dann wieder den
Rückweg an. Als er so dahin zog, ward er sehr durstig, und er beschloss die eine
der drei Zitronen aufzuschneiden, um durch ihren Saft sich zu erfrischen. Wie er
aber schnitt, da sprang auf einmal eine schöne Jungfrau aus der Frucht heraus:
die bat ihn um Wasser, und da er nicht im Stande war ihr welches zu geben,
hauchte sie sofort ihr Leben aus. Sehr betrübt über diesen Vorfall zog der
Jüngling seines Weges weiter. Da der Durst ihn fortwährend quälte, so schnitt er
auch die zweite Zitrone auf, und da ging's ihm ebenso, nur war das Mädchen, das
heraussprang und dann verschied, noch schöner als das erste. Er beschloss nun
die dritte Zitrone so lange aufzuheben, bis er an eine Quelle mit Wasser käme.
Als er endlich eine solche fand, schnitt er auch die dritte Zitrone auf, und mit
einem Male sprang ein wunderschönes Mädchen heraus, dessen Schönheit die Sonne
verdunkelte. Da schöpfte der Königssohn eilig Wasser aus der Quelle, besprengte
die Jungfrau damit und erhielt sie auf diese Weise am Leben. Schnell war sein
Entschluss gefasst, sie zur Frau zu nehmen. Als er ihr aber diese Absicht
mitteilte, sprach sie: 'Nein, geh erst allein nach Hause und erzähle deinen
Eltern die Sache, mich aber lass einstweilen hier oben auf diesem Maulbeerbaum,
dann komm zurück und hole mich ab. Aber sieh dich vor, dass deine Mutter dich
nicht küsse, denn sonst wirst du mich vergessen.' Also hob sie der Königssohn
auf den an der Quelle stehenden Maulbeerbaum und nahm unter Tränen von ihr
Abschied. Er hatte sich noch nicht eine Viertelstunde weit entfernt, als eine
Mohrin, die von ihrer Herrin abgeschickt war, um Wasser zu holen, an die Quelle
kam. Als diese im Wasser den Schatten des Mädchens erblickte, das auf dem Baume
sass, vermeinte sie ihr eigenes Bild zu schauen und rief aus:
'Ei sieh, wie wunderschön bin ich!
Und Wasser holen heisst man mich!'
Dabei warf sie ihren Krug zu Boden, dass er zerbrach, und kehrte nach Hause
zurück. Und hier sagte sie das nämliche zu ihrer Herrin, der Lamnissa. Die
schalt das Mohrenmädchen aus, machte sich aber dann selbst - denn sie merkte
wohl, wie die Sache sich verhalten mochte - auf den Weg nach der Quelle. Dort
angekommen gewahrte sie, als sie in die Höhe blickte, die Jungfrau auf dem Baume
und sprach zu ihr: 'Steig herunter, dass ich dich fresse.' Jene aber antwortete:
'Geh nach Hause, knete den Teig, backe und dann komm zurück, mich zu fressen.'
Da ging die Lamnissa wieder nach Hause, buk in aller Eile Brod und kehrte dann
zurück, um das Mädchen zu fressen. Nachdem sie es vorher noch genötigt hatte,
ihr seine ganze Geschichte zu erzählen, frass sie es. Während ihrer Mahlzeit
aber fiel, ohne dass sie's merkte, ein kleines Knöchelchen ins Wasser und
verwandelte sich sofort in ein Goldfischchen. Nachdem nun die Lamnissa das
Mädchen aufgefressen hatte, setzte sie an seiner Statt sich selber auf den
Maulbeerbaum.
Verlassen wir jetzt die Lamnissa und wenden wir uns zum Königssohn! Der gelangte
zu Hause an und hütete sich wohl davor, dass seine Mutter ihn küsste. Als er
aber eben im Begriff war sein ganzes Erlebnis seinem Vater zu erzählen, versank
er, ermüdet wie er war von dem weiten Wege, in Schlaf, und während des Schlafes
küsste ihn seine Mutter. Als er dann am andern Morgen erwachte, da hatte er alle
Erinnerung an die Geliebte verloren. So verstrichen sechs Monate. Da zog er
eines Tags mit grossem Gefolge zu Pferd auf die Jagd und kam auf seinem Wege
zufällig an den Maulbeerbaum, auf dem die Lamnissa sass. Als diese den
Königssohn erblickte, stieg sie sofort vom Baum herunter und erzählte ihm alles,
was geschehen war, indem sie sich selbst für das von ihm verlassene Mädchen
ausgab. Jetzt kam ihm wieder die Erinnerung an das frühere Erlebnis, und obwohl
ihm die grosse Veränderung der Geliebten auffiel, so nahm er doch an, dass die
Sonne das bewirkt habe, fiel der Lamnissa zu Füssen, bat sie um Verzeihung, hob
sie auf ein Pferd und brachte sie nach Hause. Noch am selbigen Abend liess er
sich mit ihr unter grossen Feierlichkeiten trauen. Er hatte aber auch das
Goldfischchen mitgenommen und behielt es in seinem Zimmer, denn er liebte es
sehr. Da fasste die Lamnissa Verdacht gegen das Fischchen und war sehr
eifersüchtig darauf. Sie sann und sann, wie sie es wohl töten könnte. Sie
stellte sich also krank und bestach einen Arzt, der musste aussagen, dass die
Prinzessin nicht genesen könnte, wenn sie nicht das Goldfischchen zu essen
bekäme. Der Königssohn hörte das zu seiner grossen Betrübnis, allein da es sich
um die Gesundheit seiner Gemahlin handelte, so gab er seine Einwilligung dazu.
Man schlachtete also das Fischchen, briet es und gab es der Kranken. Sobald
diese es verzehrt hatte, fühlte sie sich wohler, und nach wenigen Tagen verliess
sie das Bett. Die Gräten des Goldfischchens aber, die man in den nahen Garten
der alten Wäscherin des Schlosses geworfen hatte, gingen hier auf als ein
schöner Rosenstrauch, und daran blühte eine prächtige Rose. Eines Tages, als die
Alte die Wäsche ins Schloss tragen wollte, kam sie auf den Gedanken, auch die
Rose mitzunehmen, für welche sie ein paar Heller zu lösen hoffte. Aber in dem
Augenblicke, da sie dieselbe schnitt, sprang ein liebliches Mädchen aus dem
Rosenstrauch heraus und sprach zu der erschrockenen Alten: 'Fürchte dich nicht,
liebes Mütterchen, ich bin kein böses Mädchen. Sage aber ja niemandem, dass ich
bei dir bin. Sieh, ich war einst eine Königstochter, nach meiner Geburt kamen
meine Moeren und teilten mir das Los zu, dass ich das beste und schönste Mädchen
von der Welt sein sollte. Aber als sie darauf wieder die Treppe unseres Hauses
hinabstiegen, strauchelte die älteste von ihnen und fiel hin. Darüber erzürnten
sie, kehrten wieder um und sprachen zu mir: was sie mir einmal zugeteilt, das
sollte ich zwar behalten, aber sobald ich das dreizehnte Jahr erreicht, sollte
ich in eine Zitrone verwandelt werden und in diesem Zustande so lange bleiben,
bis jemand käme und mich erlöste. Da fand sich der Sohn des Königs hier: der
befreite mich und erwählte mich zu seinem Weibe.' Nachdem die Jungfrau hierauf
ihr weiteres Geschick erzählt, wie sie von der Lamnissa, der jetzigen Frau ihres
Geliebten, gefressen, wie sie dann in ein Goldfischchen und hierauf in den
Rosenstrauch verwandelt worden war, sprach sie zu der Alten: 'Trage jetzt deine
Wäsche ins Schloss und nimm auch dieses Körbchen voll Rosen für den Königssohn
mit. Doch sage ihm nichts von mir. Den Dienst aber, den du mir erweisest, will
ich dir schon lohnen.' In diesem Körbchen befand sich unter den Rosen auch der
Ring, den das Mädchen einst vom Königssohn erhalten hatte. Die Wäscherin
besorgte den Auftrag, und als der Königssohn die Rosen aus dem Körbchen nahm,
fand er auch den Ring. Da schöpfte er gleich Verdacht und sagte zur Alten, er
werde am folgenden Tage sie besuchen, um etwas heimlich mit ihr zu besprechen.
Freudig kehrte die Alte heim und überbrachte diese Botschaft dem Mädchen. Am
nächsten Tage kam der Königssohn ganz allein in der Alten Wohnung, und da sagte
diese zu ihm:
'Zeig ich dir die Geliebte dein,
Wirst du sie wiederkennen,
Sie, die dein Weib, die Lamnissa,
Durch deine Schuld gefressen?'
Nun führte sie rasch die Jungfrau vor ihn, und nachdem diese ihrem Geliebten
alles erzählt, fiel er unter Tränen ihr zu Füssen, bat sie um Verzeihung und
versprach ihr, dass er ihr Blut rächen werde. Hierauf brachte er sie samt der
Alten heimlich ins Schloss. Am andern Tage aber veranstaltete er ein grosses
Gastmahl, zu welchem viele Herren und Frauen geladen waren, und unter den
ersteren viele Rechtskundige. Er lenkte das Gespräch auf Verbrechen und Strafen;
und nachdem er sich lange über diesen Gegenstand mit seinen Gästen unterhalten
hatte, wandte er sich an seine Gattin mit der Frage: 'Was für eine Strafe,
meinst du wohl, soll ich über ein Weib verhängen, welches ein anderes gefressen
hat?' Die Lamnissa stellte sich sehr entrüstet und erwiderte: 'Es soll in Stücke
gerissen werden.' Da sprach der Königssohn: 'Du bist dieses Weib und sollst
jetzt die Strafe erleiden, die du selber vorgeschlagen.' Nun führte er rasch
seine Geliebte mit der alten Wäscherin herein und erzählte allen Anwesenden das
Geschehene. Hierauf gab er den Befehl, die Lamnissa an vier trunken gemachte
Rosse anzubinden, um von ihnen in Stücke gerissen zu werden. Nachdem dies
geschehen, liess er sich mit seiner Geliebten trauen. Sein Vater zog sich jetzt
zurück und überliess ihm seine Krone. Die alte Wäscherin aber ward wie die
Mutter der jungen Königin betrachtet, und der Vater derselben legte, nachdem er
alles erfahren, die Trauerkleider ab, öffnete sein Haus wieder und eilte dann in
die Arme seiner Tochter, welcher er seine eigene Krone noch dazu gab.
(Quelle: http://www.sagen.at/index.html)